Operation
Extra-intrakranieller Bypass bei Moyamoya-Angiopathie
Einleitung
Die Hauptindikation zur extra-intrakraniellen Bypassanlage (EC-IC-Bypass) ist heutzutage die sogenannte Moya-Moya-Erkrankung, eine seltene Gefäßerkrankung, die durch einen voranschreitenden ein- oder beidseitigen Verschluß der Hirngefäße charakterisiert ist und die hauptsächlich in Asien auftritt.
Da die Moyamoya-Angiopathie auch unter optimaler medikamentöser Therapie ein perspektivisch sehr hohes Schlaganfallrisiko birgt (bis zu 80 % in 5 Jahren, (II)) und dieses Risiko durch den EC-IC-Bypass auf ein Minimum gesenkt werden kann (IV), sollte bei jedem Moyamoya-Patienten die operative Therapie durch Bypass-Anlage überdacht werden.
Hierbei wird das Ende eines Hautgefäßes im Schläfenbereich über eine kleine Schädeleröffnung auf ein oberflächliches Hirngefäß genäht und somit eine Verbindung der außerhalb und innerhalb des Schädelknochens verlaufenden Gefäße geschaffen.
Weitere Indikationen zur EC-IC-Bypassanlage sind der geplante Verschluß von Hirngefäßen bei der Therapie großer Gefäßmissbildungen oder Hirntumoren mit Gefäßbeteiligung, desweiteren ateriosklerotisch bedingte Hirngefäßverschlüsse, bei denen es auch nach maximaler Ausschöpfung der medikamentösen Therapie noch zu neuen Ausfallserscheinungen kommt, wobei hier die Wirksamkeit der Operation umstritten ist.
Die Anlage eines EC-IC-Bypass wird durch einen Facharzt für Neurochirurgie unter dem Operationsmikroskop in Vollnarkose durchgeführt und dauert ca. 2-3 Stunden.
Hintergrundinformationen
Die Technik der EC-IC-Bypassanlage wurde erstmalig 1967 unabhängig voneinander durch Yasargil und durch Donaghy an einem Menschen erfolgreich durchgeführt (I). Es wird hierbei das Ende eines Hautgefäßes im Schläfenbereich (Arteria temporalis superficialis) über eine kleine Schädeleröffnung (ca. 2x3 cm) mit einem oberflächlichen Hirngefäß mittels kleinster Mikronähte verbunden. Hierdurch gelingt es (ähnlich wie bei einem Herzbypass), verengte oder verschlossene Hirngefäße von außen zu umgehen. Heutzutage gibt es nur wenige Indikationen zur EC-IC-Bypassanlage. Die wichtigste Indikation ist die Moya-Moya-Erkrankung, eine seltene Hirngefäßerkrankung, die zu einem voranschreitenden Verschluß der Hirngefäße führt und vornehmlich in Asien, jedoch auch in Europa auftritt (II). Typischerweise zeigt sich in der Gefäßdarstellung (Angiographie) aufgrund der Gefäßverschlüsse mit gleichzeitig ausgedehnten und sehr feinen Umgehungskreisläufen ein wolkenartiges Bild im Bereich der verschlossenen Gefäße (Moyamoya bedeutet auf Japanisch Nebel- oder Rauchwolke). Die Ursache der Erkrankung ist noch Gegenstand intensiver Forschungen, scheint aber teilweise eine genetische Komponente zu haben.Die Bypassanlage bei arteriosklerotisch bedingten Hirngefäßverschlüssen sollte in Einzelfällen erwogen werden, wenn auch nach Ausschöpfung der kompletten medikamentösen Therapie weiterhin neue Durchblutungsstörungen mit Ausfällen auftreten, wobei hier die Wirksamkeit wissenschaftlich umstritten ist.
Bei frisch aufgetretenen Schlaganfällen sollte mit dem Eingriff ca. 2-3 Monate gewartet werden.
Grund und Ziel der Operation
Die Anlage eines EC-IC-Bypass dient der Prophylaxe von Durchblutungsstörungen im Gehirn, wenn die Reservekapazität der Blutversorgung des Gehirns erschöpft ist und auch die medikamentöse Therapie das Voranschreiten der Ausfallserscheinungen nicht aufhält. In Asien geht die Tendenz zur Früh-OP, um spätere Komplikationen der Erkrankung gar nicht entstehen zu lassen.
Risiken der Bypassanlage
Da die Patienten eine deutlich verminderte Blutversorgung des Gehirns aufweisen, liegt das Hauptrisiko bei der EC-IC-Bypassanlage in der Gefahr eines Schlaganfalles während des Eingriffes in Vollnarkose, so daß hier eine engmaschige Blutdruckkontrolle durch den erfahrenen Neuroanästhesisten erfolgen muss. Der Eingriff sollte daher in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.
Ein weiteres Risiko stellt der Bypassverschluss oder eine unzureichende Fördermenge des Bypass dar. Da ein relativ kleines Hautgefäß auf ein ebenfalls kleines oberflächliches Hirngefäß genäht wird, ist die Gefahr einer Thrombose des Bypass umso größer, je weniger er vom Gehirn gebraucht wird. Es ist daher sehr wichtig, vor dem geplanten Eingriff den tatsächlichen Bedarf in Form der zerebrovaskulären Reservekapazität zu messen. Je stärker der Bypass zur Hirnversorgung beiträgt, desto geringer ist die Gefahr des Verschlusses (das Risiko des Bypassverschlusses liegt unter 1%(III)). Nach einigen Monaten nimmt der Bypass im Kaliber deutlich zu, um sich dem Bedarf anzupassen (IV).
Risiken ohne Bypassanlage
Bei Patienten mit konservativ behandelter Moya-Moya-Erkrankung liegt das 5-Jahres-Schlaganfallsrisiko bei ca. 80 % (II).
Alternativen zur Bypass-OP
Die Alternativen liegen in der rein konservativen Therapie mit optimaler Blutdruckeinstellung, einer aktiven Lebensführung und der lebenslangen Antikoagulation mit ASS.
Heilungschancen
Durch die Bypassanlage kann der natürliche Verlauf der Moya-Moya-Erkrankung mit hohem Schlaganfallsrisiko (80 % in 5 Jahren) deutlich abgemildert werden. Trotz voranschreitender Gefäßverschlüsse treten bei den Bypass-Patienten nahezu keine Schlaganfälle mehr auf (IV).
Wahl des richtigen Operateurs
Die Anlage eines EC-IC-Bypass wird nur durch wenige Neurochirurgen in spezialisierten Zentren angeboten. Der Neurochirurg sollte eine Expertise in gefäßchirurgischen Eingriffen am Gehirn haben. Insgesamt ist der Schwierigkeitsgrad der Operation als sehr hoch einzustufen.
Aufklärung / Einnahme von Medikamenten
Der Patient muss ausführlich schriftlich und mündlich aufgeklärt werden. Wichtig ist auch die Einbeziehung eines versierten Neurologen in den Aufklärungsprozess, um den natürlichen Verlauf der Erkrankung und die alternativen Möglichkeiten darzustellen. Es muss insbesondere auf das Auftreten von Schlaganfällen während des Eingriffes, auf den Bypassverschluss und Nachblutungen mit Halbseitenlähmung, Sprachstörung und Bewusstseinsstörung hingewiesen werden. Blutverdünnende Medikamente, wie z.B. Acetylsalicylsäure (ASS) oder Marcumar, sollten eine Woche vor dem geplanten Eingriff abgesetzt werden (dann Umstellung auf Heparin). Auch durch die Anästhesie muss eine ausführliche Aufklärung erfolgen.
Hinweis vor stationärer Operation
Der durchschnittliche stationäre Aufenthalt bei der Bypassanlage beträgt 7 – 10 Tage. Die erste Nacht nach dem Eingriff verbringt der Patient auf der Überwachungs- oder Intensivstation
EC-IC-Bypass – Die Operation
Vorbereitung zur Operation
Der Anästhesist bespricht mit dem Patienten am Vortag der Operation die Vorgaben bezüglich Nüchternheit und Medikamenteneinnahme. Es erfolgt dann in Narkose eine Teilrasur der Haare im Schläfenbereich.
Narkose
Es erfolgt eine Vollnarkose mit oraler Intubation, die Anlage eines zentralen Venenkatheters, eines Blasenkatheters und einer arteriellen Blutdruckmessung zwecks engmaschiger intra- und postoperativer Kontrolle des Blutdruckes.
Das OP-Team
Im OP-Saal sind anwesend der Operateur und ein Assistenzarzt, der Anästhesist mitsamt der Anästhesiepflegekraft sowie die instrumentierende OP-Pflegekraft (steril) und eine frei bewegliche OP-Pflegekraft (Springerin).
Dauer der Operation
2-3 Stunden
Die Operation
Für die Operation wird ein spezielles OP-Mikroskop mit Fluoreszenztechnologie benötigt. Es erfolgt eine Rückenlagerung mit Unterpolsterung der gleichseitigen Schulter und scharfer Kopfwendung zur Gegenseite. Fixiert wird der Kopf auf einer gepolsterten Platte oder in der sogenannten Mayfield-Klemme.
Der Hautschnitt ist gerade und liegt hinter der Haargrenze vor dem Ohr (ca. 6 cm lang). Es wird nun schrittweise das Hautgefäß im Schläfenbereich, ein Ast der Arteria temporalis superficialis, aus dem Unterhautfettgewebe herauspräpariert, wobei man aufgrund des geringen Gefäßdurchmessers hier bereits mikrochirurgisch und unter dem Mikroskop arbeiten muss. Die Arteria temporalis superficialis teilt sich in der Regel in zwei Endäste, wobei der schmächtigere belassen wird, um die Hautdurchblutung zu verbessern. In Abhängigkeit von dem Endast, der verwendet wird, kann das Hautgefäß nun entweder nach hinten oder nach vorne-unten verlagert werden, um Platz für die Schädeleröffnung (Trepanation) zu bekommen. Der Schläfenmuskel wird nun mittig gespalten, ein kleines Bohrloch gesetzt und ein ca. 3x2 cm großer Knochendeckel ausgesägt. Nun folgen die kreuzförmige Eröffnung der harten Hirnhaut (Dura mater) und die Darstellung der Gehirnoberfläche mit den Gefäßen (Abbildung 1).
Ein passendes Empfängergefäß wird ausgesucht und schrittweise aus der Spinngewebshaut (Arachnoidea) freipräpariert. Diese Gefäße sind sehr empfindlich und reagieren auf Berührung sofort mit Krämpfen der Gefäßwand (Vasospasmus). Durch direktes Aufträufeln gefäßerweiternder Substanzen kann das verhindert werden. Wenn das Empfängergefäß vorbereitet ist, wird der präparierte Ast (Abbildung 2) der Arteria temporalis superficialis weit peripher durchtrennt und der Hauptstamm mit einem kleinen Titanclip vorübergehend verschlossen, um die Blutung aus dem Ast zu unterbrechen. Der Hautast wird schräg angeschnitten - um die Auflagefläche zu vergrößern - und mit Heparin durchspült.
Nun wird das freipräparierte Hirngefäß durch zwei Mikrotitanclips vorübergehend unterbunden und längs mit der Mikroschere eröffnet (Abbildung 3).
Der Hautast und das Hirngefäß werden nun End-zu-Seit mittels feinster Mikronähte (Größe 10-0) verbunden (ca. 8 Einzelnähte). Hierbei ist wichtig, nach jeder Naht die Durchgängigkeit der Nahtstelle zu überprüfen. Auf die Nahtstelle wird abschließend etwas Fibrinkleber zur Abdichtung gegeben und die Titanclips werden nacheinander wieder entfernt (Abbildung 4).
Die Bypass-Durchgängigkeit wird nun mittels Fluoreszenzangiographie dokumentiert. Hierfür appliziert der Anästhesist einen Fluoreszenzfarbstoff (Indocyaningrün) intravenös, der durch das OP-Mikroskop bei einer Wellenlänge von 800 nm dargestellt werden kann (Abbildung 5). Bei fehlender Bypassdurchgängigkeit kann sofort revidiert werden.
Der Duraverschluss erfolgt mit resorbierbaren Nähten. Der Knochendeckel wird nicht wieder eingesetzt, um den Bypass nicht abzudrücken. Der kleine Knochendefekt wird durch den Schläfenmuskel verdeckt und ist später nicht mehr sichtbar. Abschließend folgen der Hautverschluß mit nicht resorbierbaren Nähten und ein steriler Pflasterverband.
Postoperativer Verlauf
Der Patient wird sofort nach dem Eingriff extubiert und in eine Überwachungseinheit (Intensivstation oder Intermediate Care) transportiert. Die lückenlose Blutdrucküberwachung ist essentiell. Wenn der Patient ansprechbar ist, was in der Regel kurz nach dem Eingriff der Fall ist, erfolgt eine neurologische Untersuchung durch den Stationsarzt. Bereits am Abend nach dem Eingriff beginnt man mit der Heparintherapie, um einem frühen Bypassverschluss entgegenzuwirken. Am Folgetag wird der Patient bereits auf die Normalstation verlegt.
Durch die Neurologen erfolgt am 3. postoperativen Tag eine Ultraschalluntersuchung, um die Bypassdurchgängigkeit nochmals zu dokumentieren. Wenn die Wundnähte am 7. postoperativen Tag entfernt werden, beginnt die dauerhafte Einnahme von täglich 100 mg Acetylsalicylsäure. Jetzt wird der Patient bei normalem Verlauf auch entlassen. Bei geplanter beidseitiger Bypassanlage sollte der zweite Bypass frühestens 3 Monate nach dem Ersteingriff angelegt werden.
Weitere Kontrollen
Die weiteren ambulanten Kontrollen mit MRT und Ultraschalluntersuchungen werden durch den spezialisierten Neurologen in regelmäßigen Abständen koordiniert.
Einschränkungen nach der Operation
Bei normalem Verlauf hat der Patient durch den Eingriff keine Einschränkungen zu erwarten. Nach 4-6 Wochen kann er mit leichter sportlicher Betätigung (z.B. Walken, Joggen), nach ca. 3 Monaten mit stärkerer sportlicher Belastung (nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt) beginnen.
Schmerzen und Narben nach der Operation
Da der ca. 6 cm lange und gerade Hautschnitt hinter der Haargrenze liegt, sieht man später keine Narben mehr. Es kann jedoch zu unspezifischen Beschwerden im Narbenbereich, insbesondere bei Wetterwechsel, kommen.
Rehabilitation/Physiotherapie
Eine Anschlussheilbehandlung kann durch das Krankenhaus veranlasst werden, wenn insbesondere schon vor dem Eingriff neurologische Ausfälle bestanden und die Versorgung zu Hause nicht gewährleistet ist. Je nach Ausfallmuster kann auch eine ambulante Physiotherapie erfolgen.
Krankschreibung
Die Arbeitsunfähigkeit nach dem Eingriff beträgt in der Regel 4 – 6 Wochen. Bei vorbestehenden Ausfällen ist diese Zeit individuell sehr unterschiedlich.
Literaturquellen:
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I. Yasargil MG: Anastomosis between the superficial temporal artery and a branch of the middle cerebral artery, in Yasargil MG (ed): Microsurgery applied to Neurosurgery.Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1969: 105-115
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II. Kraemer M, Heienbrok W, Berlit P (2008) Moyamoya disease in Europeans. Stroke 39 (12): 3193 – 3200
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III. Kraemer M et al. (2018) Moyamoya angiopathy: early postoperative course within 3 months after STA-MCA-bypass surgery in Europe, Journal of Neurology, Published online
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IV. Kraemer M et al. (2018) Efficacy of STA-MCA bypass surgery in moyamoya angiopathy: long-term follow-up of the Caucasian Krupp Hospital cohort with 81 procedures, Journal of Neurology, Published online